Aventicum: seine Bevölkerung, sein Gebiet
Begleitheft 3. Stock (PDF)
Die Geschichte von Aventicum beginnt weit vor der römischen Eroberung. Seit der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. gab es hier bereits eine mittlerweile gut dokumentierte grössere Siedlung, in der die lokale Aristokratie Münzen prägte und mit dem Mittelmeerraum Handel trieb.
15 v. Chr. wurde das helvetische Gebiet, das sich vom Genfersee bis zum Bodensee erstreckte, in das Römische Reich eingegliedert. Aventicum wird zur Hauptstadt und entwickelt sich sehr schnell. Die Einwohnerzahl im 2. Jh. n. Chr. wird auf 20'000 geschätzt, die Bevölkerung war vor allem einheimischen Ursprungs. Zu ihr gehörten Mitglieder der kaiserlichen Familie (der Vater des Vespasian und dessen Sohn Titus), einflussreiche einheimische Familien und einfache Bürger, Händler und Handwerker, freie Bürger, Freigelassene und Sklaven.
Die Stadt wurde grösstenteils am Ende des 3. Jhs. verlassen, einer Zeit, die geprägt war von wirtschaftlicher Instabilität und politischen Krisen. Dennoch bestand die Stadt noch weiter: Am Ende des 6. Jhs. war sie Bischofssitz, im frühen Mittelalter eine kleine bescheidene Siedlung. In der Mitte des 13. Jhs. entsteht dann die «Neustadt» auf dem Hügel.
Die Anfänge in keltischer Zeit
Lange Zeit dachte man, die Stadt Aventicum sei um 15 v. Chr., kurz nach der Eingliederung des helvetischen Territoriums in das Römische Reich, aus dem Nichts, ex nihilo, entstanden.
Die zahlreichen Entdeckungen der letzten Jahre aus keltischer Zeit westlich und südlich des Hügels von Avenches belegen, dass es hier bereits seit dem 2. Jh. v. Chr. eine grössere Siedlung gab. Reste von Wohngebieten, Werkstätten und sakralen Zonen erstrecken sich zum grössten Teil beidseits einer Strasse, einer Südwest/Nordost-Achse, die später dann zu einer der beiden Hauptstrassen der römischen Stadt werden sollte (decumanus maximus).
Das luxuriöse Fundmaterial, aus dem Mittelmeerraum importiere Produkte sowie die Belege für die Herstellung von Münzen ergeben das Bild eines bedeutenden und wohlhabenden Zentrums.

Dame mit Torques. © SMRA, Foto J. Zbinden

Keramikfunde von Sur Fourches. © SMRA

Münzstempel. © SMRA, Foto NVP3D
Römerzeit: Kindheit
Das im Zusammenhang mit Kindern stehende Fundmaterial stammt meist aus Gräbern. Die Kindersterblichkeit war in der Antike sehr hoch. Jedes zweite Kind wurde nicht einmal fünf Jahre alt. Kindergräber zeichnen sich durch entsprechende Grabbeigaben aus (Saugfläschchen, Statuetten, Spielzeug) und wurden manchmal auch durch Grabstelen gekenzeichnet – ergreifende Zeugnisse der Zuneigung ihrer Eltern.
Die Kindheit der damaligen Zeit wird auch durch Statuetten, Skulpturen, Spielzeug (Spielsteine, Spieltafeln, Knöchelchen) oder durch den Fussabdruck eines Kindes fassbar, das über eine zum Trocknen ausgelegten Bodenplatte aus Terrakotta gelaufen war.

Marmorkopf eines Kindes (Amor). © SMRA, Foto NVP3D

Bodenplatte aus Terrakotta mit Fussabdruck eines Kindes. © SMRA, Foto J. Zbinden

Spieltafel aus Marmor. © SMRA
Römerzeit: die Bevölkerung
Die Mehrheit der Bevölkerung von Aventicum hat kaum Spuren hinterlassen. Die einfachen Bürger, Händler und Handwerker, freie Bürger, Freigelassene und Sklaven sind nur durch einige wenige Inschriften bekannt. Ihre Präsenz in der Stadt ist durch die Spuren belegt, die vor allem handwerkliche Aktivitäten hinterlassen haben: Werkzeug und Reste von Werkstätten unter anderem von Glasbläsern, Bronzegiessern, Zimmersleuten, Müllern, Ziegelherstellern und Mosaizisten. Einige organische Reste (Holz, Leder, usw.) von Schuhen oder Körben, die nur aufgrund der konstanten Feuchtigkeit im Boden erhalten geblieben sind, oder beispielsweise Graffiti auf den Wänden eines Hauses, geben Einblicke in den Alltag der Bewohner der Stadt.

Grab eines Zimmermanns. © SMRA, J. Zbinden

Graffiti aus der insula 1. © SMRA

Bronzebüste einer Gottheit. © SMRA, Foto NVP3D
Römerzeit: die Elite
Mehrere einflussreiche Familien der Region wie die Camilli, eine aristokratische helvetische Familie, die sehr früh romanisiert war, die Otacilii oder die Macrii gehörten zu den obersten Schichten der römischen Gesellschaft und bildeten die lokale Elite. Einige Mitglieder dieser Familien sind durch Inschriften bekannt. Sie hatten in der Regionalverwaltung die höchsten Posten inne, sowohl in der Legislative als Dekurionen als auch in der Exekutive als duumviri (hohe Magistrate, die Bürgermeister waren) wie auch in rechtlichen und religiösen Belangen.
Zahlreiche wertvolle Funde – Schmuck, Metallgefässe, Prunkbetten aus Bronze, Marmorskulpturen oder Nahrungsmittel aus fernen Regionen – sowie prachtvolle Anwesen zeugen vom hohen Lebensstandard dieser reichen Oberschicht und von den weitreichenden Handelsbeziehungen.

Porträt eines Mannes. © SMRA

Goldene Ohrringe. © SMRA, Foto NVP3D

Deckel einer Marmorurne. © SMRA, Foto P. Lutz
Spätantike
Aventicum erfuhr nach der Mitte des 3. Jhs. eine Zeit des Niedergangs, die ausgelöst war durch die politische Instabilität und wirtschaftliche Krise des Reiches. Die Grenzen waren geschwächt, immer wieder drangen germanische Stämme in das Gebiet ein. Die Bewohner gaben den grössten Teil des römischen Stadtgebietes auf und zogen sich in den Süden des Hügels von Avenches und in den Bereich um das Theater zurück. Einige von ihnen konvertieren im 4. Jh. n. Chr. zum Christentum, wie das Fundmaterial des Grabes einer jungen Frau belegt.
Dennoch bestand Aventicum weiter und avancierte zu Beginn des 6. Jhs. zum Bischofssitz, der Ende des Jahrhunderts dann nach Lausanne verlegt wurde. Aus dieser Zeit ist nur wenig erhalten. Es wurden jedoch luxuriöse Objekte und Dekorationselemente gefunden, die von einem gewissen Wohlstand zeugen.

Pilaster aus Marmor. © SMRA

Christliches Grab eines jungen Mädchens. © SMRA, Foto J. Zbinden